12. Juli 2020

Liebe HauptstadtTV-Gemeinde,

„Du, Herr, bist gerecht, wir aber müssen uns alle heute schämen.“ lesen wir im Buch des Propheten Daniel. Und ist Daniel nicht zu verstehen? Das Volk Israel lebt nicht mehr im Land, das ihnen anvertraut worden ist in der Zeit von König David. Sondern sie leben in der Zerstreuung, in der Diaspora. Aber sie haben genügend Geistesgegenwart, angesichts dieser Situation nicht einfach mit den Schultern zu zucken und zu sagen: Ist nun mal so. Sondern sie begreifen, dass sie selber schuld sind, dass es so weit gekommen ist. Sie verstehen das, weil sie die Gebote neu lesen. Und erkennen an, dass sie selber die Verantwortung dafür tragen, dass sie nicht mehr im Heiligen Land leben können, in dem Milch und Honig fließt. Sondern dass Gott sie straft, weil sie seine Gebote, die er seinem Volk für sein Land gegeben hat, nicht befolgt haben. Und deshalb erkennen sie, dass Gott gerecht ist, weil er sich nur an das gehalten hat, was sozusagen die „Geschäftsgrundlage“ für das Wohnen im Heiligen Land war. Und erkennen, dass sie sich selber schämen müssen. Aber dieses Schämen ist produktiv. Weil es Schämen vor Gott ist. Es ist Einsicht, in eine Leben stiftende Wahrheit. Es ist nicht Demütigung, keine Unterwerfung, kein Islam unter Gottes Willen. Sondern Anerkennung der Wirklichkeit Gottes.

In der Haltung beim Gebet erkennt man den Kern einer Religion, das Wesen, die Haltung drückt sich darin aus. Die Juden stehen beim Gebet und wippen, ja schaukeln mit dem Körper, manchmal stellen sie sich auf die Zehenspitzen, wie im Gott näher zu sein. Gebet ist für die Juden Lob Gottes. Für das Gebet werden die Gebetsriemen und der Gebetsschal angelegt. Männer haben beim Beten die Kippa auf dem Kopf. Dieses Käppchen ist ein Zeichen der Ehrfurcht vor Gott. Viele Juden tragen es daher auch den ganzen Tag über. Wir Christen falten die Hände, wie um uns selbst zu fesseln, zur Ruhe zu bringen. Wir schließen die Augen, um offen zu sein, dass Gott sich uns zeigt. Muslime gehen auf die Knie und berühren mit dem Kopf die Erde. Und das viele Male. Ich könnte das nicht. Ich möchte das nicht. Es entspricht nicht meinem Bild meines Lebens vor Gott. Mit Gott. Deshalb könnte ich nie und würde ich nie Islam, Unterwerfung praktizieren. Aber ich respektiere, dass andere es so wollen. Aber fordere, und das ist unverhandelbar, dass auch sie uns als Christen oder die Juden in gleicher Weise anerkennen. Nicht nur hier oder dort, wo wir in der Mehrheit sind. Sondern in gleicher Weise auch dort, wo Christen und Juden vorher waren und heute in der Minderheit sind.

„Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Ephesus. Und damit sind wir genau an der Stelle, wo aus dieser Haltung die Neuzeit begann. Denn Luther hat mit seiner Forderung: Sola gratia, allein aus Gnade, die Welt verändert, die Neuzeit beginnen lassen. Denn wenn uns alles allein aus Gnade geschenkt wird, dann sind wir wirklich aus frei zu neuem Leben. „Die Freiheit eines Christenmenschen“ ist die Flugschrift, die die Welt noch mehr verändert hat, als die 95 Thesen. Das war nur der Auftakt, nur der Anstoß zur Reformation. Aber die Freiheit eines Christenmenschen ist das Herz der Deutschen Revolution, die wir Reformation nennen. Heute hat einer der wichtigsten Gesprächspartner und oft auch Kontrahenten von Martin Luther seinen 2. Geburtstag. Den in die Ewigkeit. Erasmus hat immer Luther entgegengehalten, dass der Mensch mit Gott kooperieren muss. Dass er eine Vorleistung bringen muss, damit Gott ihm sinnvoll seine Gnade schenken kann. Luther hat dem immer widersprochen. Für Luther war alles Geschenk von Gott. Sola gratia, allein aus Gnade. Und allein im Glauben, sola fide, antwortet der Mensch darauf. Und kann dann eben gar nicht anders, als wie ein gesunder Apfelbaum lauter gesunde Äpfel hervorbringen. Ein großer Humanist war Erasmus von Rotterdam, der den Menschen vor Gott auch ganz neu beschrieben hat. So dass wir ihm bis heute viel verdanken. Mit seinem „Lob der Torheit“ hat er viele Irrtümer seiner Zeit als solche offengelegt und so seinen Beitrag geleistet, dass eine neue Zeit beginnen konnte. Mit wohl 150 Büchern, die er in seinem Leben geschrieben hat, war er ein sehr prägender Mönch und Mensch. Bleiben sie gesundBehütet.