14. Juni 2020

Liebe HauptstadtTV-Gemeinde, das Evangelium dieses Sonntages ist die Geschichte vom Armen Lazarus und vom reichen Mann. Ungewöhnlich ist schon, dass nicht Jesus diese Geschichte erzählt. Sondern sie fängt einfach an. Und es ist die einzige Geschichte des Neuen Testaments, in der Abraham praktisch die Rolle Jesu einnimmt. Abraham gibt an Stelle von Jesus die wichtigen Antworten. Die Geschichte wird in einer Vorstellungswelt erzählt, die wir so nicht mehr haben. Unsere Erde und Himmel und Hölle. So als wären es Orte, an die man gelangen kann in unseren Dimensionen von Raum und Zeit. Dennoch kann man sich auf die Geschichte einlassen, weil sich darin etwas ereignet, was auch uns etwas erzählt. Der reiche Mann lebt in Saus und Braus. Unvorstellbarer Reichtum. Aber er hat keinen Namen. Dabei sind doch Namen nicht Schall und Rauch. Gott hat uns bei unserem Namen gerufen, wir sind sein. Der reiche Mann hat seine Entscheidung getroffen: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Paulus hat in seinem Brief an die Korinther diese Haltung kritisiert. Er beschreibt so die Lebenshaltung der Menschen, die nicht an die Auferstehung glauben. Man darf sich den Reichen nicht als depressiv, als leidend an der Sinnlosigkeit vorstellen. Er lebt alle Tage herrlich und in Freuden. Er ist auch kein schlechter Mensch. Denn er lässt Lazarus die Brosamen von seinem Tisch. Und seine Hunde dürfen Lazarus die Wunden lecken. Denn zu seiner Armut kommt, wie meist, auch noch Krankheit. Armut bringt Krankheit hervor. Der arme Lazarus ist wohl einer von denen, die weniger als einen Dollar pro Tag haben, die also unter der von der UN beschriebenen Armutsgrenze leben. Er kann sich nicht mehr selber versorgen, nichts mehr für sich erreichen. Der reiche Mann sind wir. Geschützt in unserem Reichtum durch das Grundgesetz und durch die EU-Außengrenzen. Als Lazarus durch den Tod aus seinem Elend erlöst wird, gibt es keine Auferweckung, sondern er wird gleich in den Himmel getragen, in Abrahams Schoß. Daher kommt unser Wort: so sicher wie in Abrahams Schoß. Aber das ist keine jüdische Vorstellung. Nicht mal eine griechische, denn da käme die Seele in den Himmel Gottes. Der Reiche hingegen wird begraben. Und erst dann kommt er in die Hölle. Armut wird hier wie ein Verdienst angerechnet. Dabei wissen wir, dass auch Arme böse sein können. So bitter und brutal, dass auch ihre Armut ihnen keinen Platz im Himmel garantieren kann. Im Jenseits kommt die Rechnung für das Diesseits. Das ist einfachste Werkgerechtigkeit. Dort ist Ausgleich für hier. Zudem ist es ein kleiner Himmel mit einer kleinen Hölle. Man kann sich sehen. Damit die Strafe noch größer wird. Damit man spürt, was man falsch gemacht hat. Und es gibt kein Fegefeuer, kein Purgatorium, durch das man gereinigt, dann doch noch in den Himmel gelangen könnte. Lazarus hat einen Namen. El Azar – „Gott hat geholfen“ bedeutet dieser hebräische Name, der griechisch Lazaros, lateinisch dann Lazarus heißt. Im Wort Lazarett begleitet uns der Name bis heute. In der Hölle bittet nun der Reiche den armen Lazarus um Almosen. Und da er die Almosen nicht bekommen kann, bittet er, dass wenigstens seine 5 Brüder gewarnt werden. Sympathischer Zug an dem Reichen. Aber Abraham verweist auf Mose und die Propheten. Doch der Reiche weiß, dass hat auch ihm schon nicht geholfen. Und er versucht es noch mal: Lazarus soll als Auferstandener aus dem Jenseits künden. Und jetzt redet Abraham wie Jesus hätte reden können. Er redet mit der Erfahrung der urchristlichen Gemeinde. Nein, auch einem der von den Toten auferstanden ist, wird nicht geglaubt. Auch Jesus wird von den meisten seiner Zeit nicht geglaubt. Ich denke das ist die eigentliche Botschaft der Geschichte. Es wird keine solchen Propheten mehr geben. Den prophetischen Auftrag bekommt statt dessen die Kirche, der Leib Christi in der Welt. Der Kirche ist dafür der Heilige Geist geschenkt. In diesem Geist kann sie die Zeichen der Zeit erkennen und deuten. Deshalb ist für mich das Bekenntnis der Reformierten Kirchen in Accra so wichtig. Hier hat die Kirche in einer ungewöhnlichen Weise ihren prophetischen Auftrag wahrgenommen. So wie damals 1934 die Bekennende Kirche in Barmen. Die Botschaft Jesu ist: das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen. Gott ist mitten unter Euch, er will sein Reich unter Euch aufrichten. 2000 Jahre ist das jetzt her. Und was hat sich verändert. Heute leben Millionen mehr Menschen als damals in einer ihnen ihr Leben und ihre Würde nehmenden Armut. Die Ungerechtigkeit, der Abstand zwischen Arm und Reich ist noch brüllender, unerträglicher, mordender geworden als damals. Man könnte in Pessimismus verfallen. Was hat uns Jesus denn dann gebracht? Liebe Schwestern und Brüder, genauso richtig ist: Wir leben in der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Es hat sich in der Welt etwas getan durch die Predigt von Jesus Christus. Es gibt Hunderttausende von Krankenhäusern, Lazaretten auf der Welt. Es gibt an manchen Orten eine Sozialpolitik, die Menschen eine Grundsicherung gibt und Renten garantiert, es gibt Wohlstand für über 2 Milliarden Menschen und täglich werden es mehr. Es gibt Entwicklungspolitik, die versucht Menschen an den Segnungen der Moderne teilhaben zu lassen, sie zu bilden, damit sie sich selber helfen können. Gewiss, das sind nur die Brosamen wie bei dem reichen Mann. Wir helfen lieber, dann plötzlich mit Abermilliarden, mit Phantastiliarden, unseren Banken. Die Armut der Armen aber ist scheinbar nicht systemgefährdend, nicht systemrelevant. Denn ihre Armut führt ja auch nicht zur Kernschmelze unseres Systems. Dabei ist der tägliche Hungertod von Hunderten von Menschen die Kernschmelze unserer Allgemeinen Menschenrechte. Denn ihr Tod belegt, dass die Allgemeinen Menschenrechte nicht so allgemein sind, wie von uns behauptet. Brot für die Welt und Torte für uns ist leider noch immer unsere Praxis. Bleiben sie gesundBehütet.